Bildung 4.0 - Was ist das


Die Wirtschaft durchläuft einen Strukturwandel, dessen Dynamik die Arbeitswelt grundlegend verändern wird. Daraus ergeben sich weitreichende Konsequenzen für die Ausbildung von Fach und Führungskräften und die Struktur des Bildungssystems: 

Über 50 % der Schulabgänger eines Jahrgangs beginnen ein Studium, die Tendenz ist weiter steigend. Auf dem Arbeitsmarkt werden in Zukunft jedoch in besonderem Umfang beruflich praktische Qualifikationen nachgefragt. Dieser Bedarf wird zunehmend ergänzt durch eine wachsende Nachfrage nach Hybridqualifikationen, die das Umsetzungs-Know-how aus einer beruflich-praktischen Ausbildung mit theoretischen Kenntnissen verbinden, wie sie typischerweise an einer Hochschule vermittelt werden. Das deutsche Bildungssystem beruht jedoch nach wie vor auf den zwei Säulen beruflicher Ausbildung (Facharbeiter, Meister, Techniker, Betriebswirt etc.) und akademischer Ausbildung, zwischen denen ein nur geringer Austausch 
stattfindet. Deshalb verstärkt das deutsche Bildungssystem in seiner heutigen Struktur den Fachkräftemangel. 

Der stabile Trend zur Akademisierung führt dazu, dass das duale Ausbildungssystem, das in Deutschland mit zu einem hohen Qualifikationsniveau beiträgt und Lernen in und an der Praxis in idealer Form in die Ausbildung integriert, seine Klientel verliert. Immer mehr Jugendliche streben unmittelbar an die Hochschulen. Bei zurückgehenden Schulabgängerzahlen und steigender Akademisierungsquote gehen sowohl prozentual als auch absolut immer weniger Jugendliche in eine betrieblich-praktische Ausbildung. Wenn das akademische System zum Mehrheitssystem wird, dürfte sich dieser Trend nochmals verstärken. Da in den nächsten Jahren verhältnismäßig große Jahrgangsgruppen aus dem Arbeitsleben ausscheiden, die überwiegend über eine betriebliche Ausbildung verfügen, kann der Bedarf an beruflich qualifizierten Fachkräften immer weniger gedeckt werden.  

Bisher haben Akademiker sowohl ein geringeres Arbeitslosigkeitsrisiko als auch ein höheres Lebenseinkommen. Deshalb gilt eine akademische Ausbildung im öffentlichen Bewusstsein als der Königsweg. Bei einem prozentualen Anteil von über 50 % werden diese Vorteile jedoch in Zukunft nur noch bei einem sehr hohen Leistungsniveau bestehen bleiben. 

Studienabbrecherquoten von bis zu 50 % zeigen außerdem ein hohes Maß an Fehlorientierung im Bildungssystem. 10

Um die Qualifikationen bereitzustellen, die der Arbeitsmarkt in Zukunft braucht, ist es zunächst erforderlich, die duale Ausbildung attraktiver zu gestalten. Dies wird so lange nicht gelingen, wie die bisherige Abschottung zum akademischen System bestehen bleibt. Jugendliche tendieren dazu, die Bildungswege zu wählen, die ihnen die meisten Optionen eröffnen. Deshalb muss der Zugang zur Hochschule für Facharbeiter ebenso kalkulierbar und planbar gestaltet werden wie für Gymnasiasten oder Absolventen vollschulischer Bildungsgänge an beruflichen Schulen. Um die Studierfähigkeit dieser Gruppe sicherzustellen, sind (je nach Vorqualifikation und angestrebtem akademischem Ausbildungsweg differenzierte) Zusatzmodule zu entwickeln, die bei einem erfolgreichen Abschluss den Zugang zu den Hochschulen eröffnen. Gleichzeitig ist es jedoch Aufgabe der Hochschule, ihr Lehrangebot so zu gestalten, dass beruflich Qualifizierten der Einstieg in ein Studium erleichtert wird.

Der Umbau des Bildungssystems von einem Zweisäulenmodell zu einem Gesamtsystem darf nicht das jeweilige Leistungsniveau absenken. Das Ziel sind die Aufhebung der Pfadabhängigkeit beim Erreichen von Bildungsabschlüssen und der Erhalt des Lernens in der Praxis bzw. die Option für Lernen in der Praxis auf allen Qualifikationsniveaus.  

Das Berufsbildungssystem aus akademischer und betrieblicher Ausbildung ist in Zukunft so zu gestalten, dass ein Höchstmaß an Durchlässigkeit und unterschiedlichen Ausbildungswegen gefördert wird, die betrieblich-praktisches Lernen mit der Aneignung akademischer Qualifikationen kombinieren. Akademikern ist der Weg zu klassischen beruflichen Qualifizierungsinhalten (etwa aus der Aufstiegsqualifizierung) ebenso zu eröffnen wie Facharbeitern der Zugang zu akademischen Inhalten (als Module oder als Abschluss auf Bachelor- und MasterNiveau). 

Dieses Prinzip gilt nicht nur für die Erstausbildung, sondern muss im Sinne lebensbegleitenden Lernens während des gesamten Arbeitslebens zum Tragen kommen. Dazu sind neben dem dualen Studium weitere hybride Modelle zu entwickeln, die diesen Anforderungen entsprechen und auf unterschiedlichen Leistungsniveaus angesiedelt sind. Qualifizierungen müssen in vermehrtem Umfang auch berufsbegleitend oder modular möglich sein.

Auszug aus einer Fachschrift des hessischen Unternehmerverbandes von 2014

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