Bildung für Arme



Wenn es um die Erklärung und Bekämpfung gesellschaftlicher Probleme geht, steht das Verhältnis von Armut und Bildung im Mittelpunkt fast aller Debatten. Sowohl mit Blick auf die Ursachen (analytisch) wie auch mit Blick auf die Verringerung bzw. Verhinderung von Armut (politisch-strategisch) erscheint der Faktor Bildung als dominant: Armut wird in Deutschland häufig auf Bildungsmängel zurückgeführt und daher konzentrieren sich Gegenmaßnahmen folgerichtig auf bildungspolitische Maßnahmen. Es ist jedoch fraglich, ob der Hauptgrund für die soziale Polarisierung der Gesellschaft wirklich in einer wachsenden Bildungsungleichheit und kulturellen Defiziten der Unterschichtangehörigen liegt, anders gesagt: ob sich die soziale Spaltung unserer Gesellschaft durch mehr oder eine bessere Bildung für alle bewältigen lässt.
Bildung ist zweifellos ein Wert an sich und – folgt man dem liberalen Vordenker und Soziologen Ralf Dahrendorf – ein soziales Bürgerrecht, das allen Gesellschaftsmitgliedern zusteht. Hier wird gleichwohl argumentiert, dass eine Blickverengung auf (gescheiterte) Bildungsbiografien sozial Benachteiligter von den eigentlichen Wurzeln der sich ständig vertiefenden Kluft zwischen Arm und Reich ablenkt und zur Individualisierung, Psychologisierung bzw. Pädagogisierung eines sozioökonomischen Kardinalproblems der Gesellschaftsentwicklung führt, dessen erfolgreiche Lösung nur mittels einer Umverteilung materieller Ressourcen von oben nach unten möglich ist.

In einem reichen Land wie der Bundesrepublik beruht Armut auf zu hoher sozialer Ungleichheit. Um die Armut zu verringern, muss daher der im Übermaß vorhandene, aber in wenigen Händen konzentrierte Reichtum umverteilt werden. Vor einer entsprechenden Steuerpolitik aber schrecken viele Parteien zurück und verweisen stattdessen auf die überragende Rolle der Bildung zur Bekämpfung von Armut. Die dafür notwendigen Mittel aber werden nicht bereitgestellt. So wird alleinstehenden Erwachsenen ab 1. Januar 2017 im Hartz-Regelbedarf gerade einmal 1,05 Euro pro Monat für Bildung gewährt, ihren Partner(inne)n sogar nur 0,94 Euro. Symptomatisch war auch das Jahresgutachten 2016/17 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit dem Titel "Zeit für Reformen", welches statt einer Wiedererhebung der Vermögensteuer die Einführung eines verpflichtenden Vorschuljahres empfahl – Bildung ja, Umverteilung nein. Letztere ist jedoch die unabdingbare Voraussetzung für eine bessere Ausstattung der öffentlichen Schulen und eine umfassendere Bildung gerade auch der Kinder aus weniger privilegierten Familien.  

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