Das Leben von Frithjof Bergmann ist vom Gedanken „New
Work" durchzogen: Geboren 1930 in Sachsen, wanderte er mit 19 Jahren in
die USA aus. Er arbeitete am Fließband und als Hafenarbeiter, boxte für Geld und
schrieb Theaterstücke. Das folgende Philosophiestudium unterbrach Bergmann,
weil er nicht wusste, ob er diesen Weg „wirklich wirklich wollte".
Er lebte zwei Jahre als Einsiedler in New Hampshire. Nach
seiner Promotion über den Philosophen Hegel lehrte Frithjof Bergmann in Princeton,
Stanford, Chicago und Berkley. Seit 1978 ist er Philosophieprofessor an der
University of Michigan in Arm Arbor. 1984 gründete er mit General Motors das
erste Zentrum für Neue Arbeit. „New Work" wurde zu seiner Lebensaufgabe.
Neben Firmen, Gewerkschaften und Kommunen berät Bergmann auch jugendliche und
Obdachlose. Seinen Ansatz vertritt er in den USA und Europa, aber auch in den
Ländern der Dritten Welt.
Die Vollbeschäftigung kommt ohnehin nicht wieder, sagt
Frithjof Bergmann. Den derzeitigen Schwund an Arbeitsplätzen sieht der
Philosophieprofessor von der University of Michigan deshalb nicht als Drama,
sondern als Chance für ein neues Arbeitssystem: Er nennt es „New Work".
Was sich dahinter verbirgt und wie Unternehmen davon profitieren können,
erläutert er im Gespräch
Mit den Internet-Unternehmen fing es an. Jetzt verkündet
quer durch alle Branchen fast täglich ein großer Konzern Stellenabbau und
Entlassungen. Erleben wir gerade das Ende der klassischen Arbeitswelt, das Sie
bereits seit 20 Jahren voraussagen?
Frithjof Bergmann: Was zurzeit geschieht, macht es auf jeden
Fall viel schwieriger, sich der Illusion hinzugeben, dass es ewig weitergehen
kann wie bisher. Dass sich alles wieder finden wird, wenn wir nur diese Krise
überwunden haben. Dabei liegt es nicht gerade auf der Hand, dass die Situation
besser wird. Die Vollbeschäftigung kommt nicht wieder. Und wir stehen an einem
Punkt, an dem es entweder immer weiter nach unten geht oder - wenn wir die
Chance nutzen - nach oben.
Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, damit es nach oben
geht?
Frithjof Bergmann: Der Teufel steckt in unserem Jobsystem,
an dem wir wie Drogensüchtige hängen: Wir klammern uns daran fest, obwohl es
viele Menschen krank macht, weil sie ihren Job für sinnlos halten oder
unterfordert sind. Wir weinen um Arbeitsplätze, die Maschinen und Computer
ausfüllen können und das nicht nur in der Industrie, sondern zunehmend auch in
der Dienstleistungsbranche: Flugtickets, Autos und sogar Häuser werden ja
bereits über das Internet verkauft.
Auf der anderen Seite gibt es unendlich viel Arbeit: Ich
kann jedes Kind besser erziehen. Ich kann Dachgärten anlegen und mich um die
Energieversorgung in den Ländern der Dritten Welt kümmern. An Arbeit mangelt es nicht. Wir machen den Weg
zu ihr aber unheimlich klein. Das gilt es, zu erkennen und zu ändern.
Abhilfe schaffen wollen Sie mit „New Work`:
Wie funktioniert dieses Modell genau?
Wie funktioniert dieses Modell genau?
Frithjof Bergmann: Der Gedanke von „New Work" ist, dass
die verbleibende Erwerbsarbeit so aufgeteilt wird, dass immer mehr Menschen in
Teilzeit arbeiten. Sie sollen aber nicht nur auf Arbeit und einen Teil ihres
Gehaltes verzichten, sondern auch etwas Neues dafür bekommen. Etwas, das sie
dazu befähigt, ein erfülltes Leben zu führen: Erstens soll jeder Mensch tun
können, was er wirklich wirklich will und damit möglichst auch Geld verdienen.
So kann ein Fließbandarbeiter Yoga unterrichten oder ein Sachbearbeiter Bücher
schreiben.
Zweitens können die Menschen die freie Zeit nutzen, um Fähigkeiten
zu entwickeln, die ihnen helfen, sich selbst zu versorgen. Und damit meine
nicht unbedingt Gemüse anbauen und
Holz für den Kamin hacken, sondern Eigenarbeit auf hohem
technischen Niveau. Wer genügend Zeit hat, kann zum Beispiel sein Haus zu
großen Teilen selbst bauen und dabei ein neues Energie-Spar-Konzept
verwirklichen. Oder er kann mit computergesteuerten Maschinen Kleider und Möbel
nach seinen individuellen Vorstellungen herstellen. So werden die Menschen
kreativ, benötigen weniger Geld für ihren Lebensunterhalt und sind unabhängiger
von sicheren, aber unattraktiven und ohnehin schwindenden Arbeitsplätzen, zum
Beispiel in der Massenproduktion.
Was könnten Unternehmen dazu beitragen, dieses auf den ersten
Blick recht utopische Modell zu verwirklichen?
Frithjof Bergmann: Dass meine Idee gar nicht so utopisch
ist, zeigt das heute schon fast legendäre „New Work"-Projekt bei General
Motors in der Autokrise der achtziger Jahre. Statt die Hälfte der Leute zu
entlassen, wurde die Arbeit aufgeteilt. Jeder arbeitete nur ein halbes Jahr. In
der anderen Zeit besuchten die Mitarbeiter das dafür eingerichtete Zentrum für
„Neue Arbeit". Hier versuchten sie herauszufinden, was sie wirklich
arbeiten wollen. Und dabei haben wir sie beraten.
Was hat das Unternehmen davon?
Frithjof Bergmann: Der größte Vorteil für das Unternehmen:
Es muss nicht eine Riesenentlassung vornehmen und bis zu 100.000 Euro zahlen,
um einen einzelnen Mitarbeiter loszuwerden. Ein Zentrum für „Neue Arbeit",
ein Gebäude, in dem die Menschen lernen können umzudenken, kommt das
Unternehmen viel günstiger. Und dann gibt es in Zeiten der Entlassungen noch ein anderes Problem: All die Leute, die wirklich tüchtig
sind, versuchen wegzugehen, bevor die nächste Kündigungswelle sie erwischt. Der
Rest hat Angst und sitzt geduckt vor dem Computer.
„New Work" hilft also, gute Mitarbeiter zu halten?
Frithjof Bergmann: Ja. Und das ist nicht nur ein
Nebenfaktor, sondern ganz wichtig: Je mehr wir in die Zukunft hineingehen, je
mehr wir den Anspruch haben, dass Menschen kreative Arbeit leisten und nicht
solche, die Maschinen und Computer übernehmen können, umso mehr werden wirklich
begabte Mitarbeiter für den Erfolg eines Unternehmens verantwortlich sein.
In Deutschland bieten erste Firmen wie der Elektronikkonzern
Siemens und die Unternehmensberatung Accenture ihren Mitarbeitern teilweise
bezahlte Auszeiten an, um gute Mitarbeiter nicht zu verlieren. Ist dies ein
Schritt in Ihre Richtung?
Frithjof Bergmann: Bei solchen Ideen fühle ich mich sogar
ein bisschen beklaut. Das sind schon Konzepte, wie ich sie in die Welt gesetzt
habe. Ob sie jedoch nachhaltig etwas bringen, ist sehr fraglich. Wenn diese
Sabbaticals wirklich nur bedeuten: Machen Sie ein Jahr lang, was Sie wollen,
danach können sie noch einmal klingeln und hören, ob es jetzt genügend
Arbeitsplätze gibt, dann greift das zu kurz. Wird ein solcher Ansatz aber mit
„New Work" verknüpft, wäre das sehr sinnvoll.
Die drei Säulen von New Work
Teilzeitbeschäftigung:
Durch Automatisierung und Computerisierung wird die
Erwerbsarbeit immer knapper. Frithjof Bergmann sieht die Lösung in der
Teilzeitarbeit. Die Arbeitnehmer sollen aber nicht nur auf Arbeit und Geld
verzichten: In der übrigen Zeit sollen die Menschen unternehmerisch tätig
werden und sich auf hohem technischem Niveau selbst versorgen.
Was ich wirklich wirklich will:
Geht es nach Frithjof Bergmann sollte sich jeder Mensch
diese Frage stellen können. Im Gegensatz zur klassischen Erwerbsarbeit, die die
Menschen seiner Ansicht nach oft unterfordert, krank und depressiv macht,
sollen sich die Menschen nach dem New Work-Modell die Arbeit aussuchen, die
ihnen Spaß macht, und sogar Geld damit verdienen.
Glauben Sie, dass die Wirtschaft „New Work" in der
jetzigen Zeit stärker für sich entdeckt?
Frithjof Bergmann: Seit den neunziger fahren beobachte ich
ein verstärktes Interesse, das in den vergangenen Monaten noch zugenommen hat.
Ich baue heute vor allem auf junge Unternehmer wie die Menschen in Silicon
Valley, die Millionen verdient haben und dann mit ihren Firmen abgestürzt sind.
Die sind erstaunlicherweise gar nicht so traurig darüber. Sie denken darüber
nach, weniger zu arbeiten in einem Job, den sie wirklich machen wollen. Sie
beabsichtigen, ihre riesigen Villen zu verkaufen, in großen Apartmenthäusern zu
leben, gemeinsam Kinder aufzuziehen und sich selbst zu versorgen. Ich wünsche
mir, dass solche Menschen neue Unternehmen mit einer neuen Philosophie gründen.
Im Herbst 2002 erscheint mein Buch „New Work - New Culture". Ich hoffe,
dass es seinen Teil dazu beitragen wird.:
Gemeint ist damit nicht die Rückkehr in vorindustrielle Zeiten,
in denen jeder Gemüse angebaut und Tiere gezüchtet hat. Sondern: Wer neben
seinem Teilzeitjob noch genügend Zeit hat, kann Fähigkeiten entwickeln, um sich
auf hohem technischen Niveau selbst zu versorgen. Er kann etwa sein Haus in
Eigenarbeit renovieren oder sich gemeinsam mit Nachbarn und Freunden mit computergesteuerten
Maschinen Kleider und Möbel nach seinen individuellen Vorstellungen anfertigen.
Das bedeutet zum einen eine erfüllende Gestaltung der freien Zeit. Zum anderen
werden Ideen entwickelt, die die Kosten für den Lebensunterhalt senken. Und das
wiederum bedeutet mehr Unabhängigkeit und mehr Freiheit, um herauszufinden, was
man wirklich wirklich will.
Auszug aus einem Interview
Auszug aus einem Interview
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